Zusammenfassung des Urteils B 2004/141: Verwaltungsgericht
Die Kollektivgesellschaft E. betreibt ein Raumplanungsbüro in der Altstadt von St. Gallen und beantragt die Umnutzung eines Wohngeschosses für Bürozwecke. Die Baupolizeikommission verlangt einen Nachweis für eine Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Liegenschaft innerhalb der Altstadt, bevor die Umnutzung genehmigt wird. Die Beschwerdegegnerin besteht auf dieser Auflage, während die Beschwerdeführerin argumentiert, dass eine Nutzungsverlagerung zwischen verschiedenen Eigentümern unzumutbar sei. Das Verwaltungsgericht gibt der Beschwerde recht und hebt die Auflage auf, da sie unverhältnismässig und nicht geeignet ist, den Schutz des Wohnraums in der Altstadt zu gewährleisten.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | B 2004/141 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 16.12.2004 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Urteil Eigentumsgarantie, Art. 36 BV (SR 101), Baupolizeirecht. Art. 66ter Abs. 2 der Bauordnung der Stadt St. Gallen. Die Erhaltung der Wohnnutzung in der Altstadt liegt im öffentlichen Interesse. Eine Bestimmung, welche die Ausdehnung einer gewerblichen Nutzung über das gesetzliche Mass davon abhängig macht, dass eine grundbuchlich gesicherte Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Altstadtliegenschaft nachgewiesen wird, bei Unmöglichkeit eines solchen Nachweises eine Ausdehnung aber zulässt, ist nur dann geeignet, ihren Zweck zu erfüllen, wenn die Nutzungsverlagerung in Grundstücken desselben Eigentümers verlangt wird. Wird sie in Grundstücken eines Dritten verlangt, so ist sie ungeeignet und daher ein unzulässiger Eingriff in das Eigentum (Verwaltungsgericht, B 2004/141). |
Schlagwörter: | Nutzungsverlagerung; Altstadt; Wohnnutzung; Liegenschaft; Recht; Vorinstanz; Wohnraum; Zweck; Nicht-Wohnnutzung; Erweiterung; Gallen; Gesuch; Mehr-Wohnnutzung; Eigentum; Baupolizeikommission; Umnutzung; Obergeschoss; Grundstück; Rekurs; Möglichkeit; Gesuchsteller; Wohnanteil; Verhältnis; Massnahme; Interesse |
Rechtsnorm: | Art. 36 BV ; |
Referenz BGE: | 128 II 297; |
Kommentar: | - |
Urteil vom 16. Dezember 2004
Anwesend: Präsident Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf,
lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiber lic. iur. Th. Vögeli
In Sachen E.,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. X., gegen
Baudepartement des Kantons St. Gallen, Lämmlisbrunnenstrasse 54, 9001 St. Gallen, Vorinstanz,
und
Politische Gemeinde St. Gallen, vertreten durch die Baupolizeikommission, Neugasse 3, 9004 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin, betreffend
Baugesuch (Umnutzung eines Wohngeschosses für Bürozwecke) hat das Verwaltungsgericht festgestellt:
./ Die Kollektivgesellschaft E. betreibt seit längerem in der nördlichen Altstadt von St. Gallen ein Raumplanungsbüro. Bis 1986 war dieses an der Schwertgasse angesiedelt. Danach zog das Unternehmen in die Liegenschaft Kirchgasse .., wo es im Erdgeschoss sowie im ersten Obergeschoss insgesamt neun Arbeitsplätze einrichtete. Daneben
verfügte das Unternehmen in der Liegenschaft Magnihalden .. über weiteren Büroraum. Die E. beabsichtigte, dieses Büro aufzugeben und den Betrieb räumlich zusammenzufassen, indem die Dreizimmerwohnung im zweiten Obergeschoss des Gebäudes Kirchgasse .. aufgehoben und dort Büros eingerichtet würden. Das dritte Obergeschoss sowie das Dachgeschoss der Liegenschaft Kirchgasse .. werden als Wohnraum genutzt. Die E. reichte am 26. Mai 2003 ein Baugesuch für die Umnutzung des zweiten Obergeschosses ein.
Das Grundstück Kirchgasse .. liegt nach dem Zonenplan der Stadt St. Gallen vom 1. November 1980 in der Kernzone, Bauklasse Altstadt. Gemäss Nutzungsplan Altstadt, Teilzonenplan vom 18. April 1995, ist an der Kirchgasse .. maximal ein Nicht- Wohngeschoss zulässig. Diese Nutzungsplanung wird durch Art. 66bis und 66ter der Bauordnung der Stadt St. Gallen (sRS 731.1, abgekürzt BO) modifiziert. Art. 66bis BO und Art. 66ter BO lauten wie folgt:
Art. 66bis BO: Randtitel: IIbis Nutzungsvorschriften, 1. Allgemeines
"Mit Nutzungsvorschriften gemäss Art. 28ter BauG kann im Zonenplan in Sonderbauvorschriften die Wohnnutzung und die Nicht-Wohnnutzung in Bauten anteilmässig festgelegt werden.
Die zulässigen Nutzungsanteile werden durch die Bezeichnung der belegbaren Geschosse, eines Prozentsatzes der anrechenbaren Geschossfläche auf andere geeignete Weise bestimmt.
Die Vorschriften finden Anwendung bei Nutzungsänderungen, bei der Errichtung von Bauten und bei wesentlichen baulichen Aenderungen. Als wesentlich gelten bauliche Aenderungen, die über den Unterhalt und die zeitgemässe Erneuerung hinausgehen.
Zwischen verschiedenen Bauten ist eine Nutzungsverlagerung zulässig, wenn der vollständige Flächenausgleich grundbuchlich sichergestellt ist und eine städtebaulich und wohnhygienisch gute Lösung erzielt wird."
Art. 66ter BO: Randtitel: 2. Altstadt
"In den Gebieten mit höchstens zwei zulässigen Nicht-Wohngeschossen in der Altstadt kann eine als Wohnraum genutzte Fläche in Dach- Galeriegeschossen in den jeweiligen Bauten grundsätzlich für die Nicht-Wohnnutzung verwendet werden. Die Nicht-Wohnnutzung ist bis zu drei Vollgeschossen zulässig.
Für eine in der Altstadt notwendige und angemessene Erweiterung eines beim Erlass der Nutzungsvorschriften schon bestehenden Betriebs ist die Erhöhung des Nicht- Wohnanteils zulässig, sofern eine Nutzungsverlagerung die Schaffung von Wohnraum in Dach- Galeriegeschossen nicht möglich ist."
Mit Verfügung vom 15. August 2003 bewilligte die Baupolizeikommission St. Gallen das Baugesuch "unter Vorbehalt des Nachweises und grundbuchlichen Sicherstellung einer entsprechenden Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Liegenschaft innerhalb der Altstadt", welcher vor der Umnutzung des zweiten Obergeschosses zu erbringen sei.
Die Baupolizeikommission hielt fest, nach Art. 66ter Abs. 2 BO sei zu beachten, dass die Erhöhung des Nicht-Wohnanteils für eine in der Altstadt notwendige und angemessene Erweiterung eines beim Erlass der Nutzungsvorschriften schon bestehenden Betriebes zulässig sei, sofern eine Nutzungsverlagerung Beschaffung von Wohnraum im Dach- Galeriegeschoss nicht möglich sei. Ein reiner Bürobetrieb müsse mit den heute zur Verfügung stehenden Kommunikations- und EDV-Mitteln nicht notwendigerweise an einem Standort zentral untergebracht werden. Die Voraussetzungen für die gewerbliche Umnutzung des zweiten Obergeschosses seien daher nicht erfüllt. Demzufolge könnte die Umnutzung nur noch gestützt auf Art. 66bis Abs. 4 BO erfolgen. Der Umnutzung könne daher unter der Bedingung zugestimmt werden, dass eine entsprechende Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Liegenschaft in der Altstadt nachgewiesen und grundbuchlich sichergestellt werde.
./ Die E. erhob Rekurs und beantragte, die Auflage des Nachweises und der grundbuchlichen Sicherstellung einer Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Liegenschaft innerhalb der Altstadt und die Verpflichtung zum Nachweis vor der Umnutzung des zweiten Obergeschosses seien aufzuheben.
Das Baudepartement wies den Rekurs mit Entscheid vom 18. August 2004 ab. Es hielt fest, die personelle Aufstockung des Betriebs in den bisherigen Räumlichkeiten und Standorten sei nicht möglich gewesen. Der Erweiterungsbedarf am bestehenden Standort in der Altstadt sei ausgewiesen. Eine Unterscheidung zwischen Bürobetrieben und Produktionsbetrieben sei in diesem Bereich nicht zulässig. Dagegen habe die Baupolizeikommission zu Recht eine Nutzungsverlagerung verlangt. Da die Nutzungsverlagerung eine städtebaulich und wohnhygienisch gute Lösung erzielen müsse, sei es der Rekurrentin zumutbar, sich in der Altstadt zumindest dort nach einer entsprechenden Möglichkeit zu bemühen, wo sich nach dem Nutzungsplan die höchsten Wohnanteile konzentrierten. Dass sie bereits entsprechende Anstrengungen unternommen habe, werde nicht geltend gemacht.
./ Mit Eingaben ihres Rechtsvertreters vom 3. September und 6. Oktober 2004 erhob die E. Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, der Rekursentscheid des Baudepartements vom 18. August 2004 sei aufzuheben und die Verfügung der Baupolizeikommission vom 15. August 2003 sei in Ziff. II/1 und IV/3 insofern aufzuheben, als ihr der Nachweis und die grundbuchliche Sicherstellung einer entsprechenden Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Liegenschaft innerhalb der Altstadt vor der Umnutzung des zweiten Obergeschosses auferlegt worden sei, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Zur Begründung macht die Beschwerdeführerin im wesentlichen geltend, sie habe keine Möglichkeit für eine Nutzungsverlagerung innerhalb eigener Liegenschaften in der Altstadt. Die Bewilligung zur Erweiterung davon abhängig zu machen, dass ein Dritter vertraglich einer Nutzungsbeschränkung zustimmt, sei gesetzwidrig und vom Wortlaut nicht gedeckt, weil damit die Anwendung von öffentlichem Recht vom rechtsgeschäftlichen Willen eines Dritten abhängig gemacht würde. Art. 66ter BO sei deshalb dahingehend auszulegen, dass die Möglichkeit einer Nutzungsverlagerung nur gegeben sei, wenn sie zwischen verschiedenen Grundstücken ein und desselben Eigentümers erfolgen könne. Ausserdem dürften keine unverhältnismässigen Anstrengungen verlangt werden, womit sich die ungeklärte Frage ergebe, was denn allenfalls zumutbar sei. Bereits zur Zeit ihres Erlasses sei die rechtliche Tragweite der Bestimmung umstritten gewesen. Die Auflage einer Nutzungsverlagerung gemäss Art. 66ter Abs. 2 BO sei daher nur unter restriktiven Bedingungen zu verfügen. Dazu gehöre, dass der Nutzungstransfer innerhalb des eigenen Grundeigentums möglich sein müsse. Im übrigen habe sich auch
die Situation verändert, indem Wohnraum in der Altstadt auch nach Markt- mechanismen nicht mehr verdrängt zu werden drohe. Die Auflage verstosse daher auch gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip.
Die Vorinstanz schliesst in ihrer Vernehmlassung vom 15. Oktober 2004 auf Abweisung der Beschwerde. Sie hält fest, die Beschwerdeführerin wolle von einer Ausnahmebestimmung einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsbeschränkung profitieren. Eine solche Privilegierung dürfe durchaus von einem Dritten abhängig gemacht werden. Das Baurecht kenne dafür zahlreiche Beispiele, so z.B. die Grenzabstandsvereinbarung, die Inanspruchnahme eines Nachbargrundstücks für den Ausnützungstransfer die Möglichkeit, auf dem Grundstück eines Dritten Ersatzparkplätze zu schaffen. Die Beschwerdeführerin könne trotz grundsätzlicher Nutzungsbeschränkung die Nicht-Wohnnutzung erhöhen, wenn sie einen vollständigen Flächenaustausch nachweise. Habe sie nachgewiesen, dass ihr dies nicht möglich sei, sei es ihr sogar erlaubt, die Nicht-Wohnnutzung bedingungslos zu erweitern.
Auch die Baupolizeikommission schliesst in ihrer Vernehmlassung vom 5. November 2004 auf Abweisung der Beschwerde. Sie hält fest, Nutzungsbeschränkungen in der Altstadt lägen nach wie vor im öffentlichen Interesse und stünden mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Einklang. Bei dieser Sachlage sei das Gesuch schon deshalb abzuweisen, weil kein Nachweis erbracht worden sei, dass eine Nutzungsverlagerung unmöglich sei. Es sei im Baubewilligungsverfahren sogar erklärt worden, die Gesuchsteller seien bereit, der Auflage zu einer Nutzungsverlagerung in eine andere Liegenschaft innert kurzer Zeit nachzukommen, sofern das letztlich erforderlich sein sollte. Im übrigen halte sie an ihrer Beurteilung, wonach es sich nicht um eine in der Altstadt notwendige Erweiterung handle, nach wie vor fest.
Darüber wird in Erwägung gezogen:
./ Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Die Beschwerdeführerin ist zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP). Die Beschwerdeeingaben vom 3. September und
6. Oktober 2004 entsprechen zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen
Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
./ a) Streitig ist im Beschwerdeverfahren einzig noch die Frage, ob die Vorinstanz gestützt auf Art. 66ter Abs. 2 BO die Auflage des Nachweises und der grundbuchlichen Sicherstellung einer entsprechenden Mehr-Wohnnutzung in einer anderen Liegenschaft innerhalb der Altstadt zu Recht bestätigt hat.
Demgegenüber ist die Frage, ob die Erweiterung des Betriebs der Beschwerdeführerin als in der Altstadt notwendig und angemessen im Sinn von Art. 66ter Abs. 2 BO zu betrachten ist, zwischen Vorinstanz und Beschwerdeführerin nicht mehr streitig. In diesem Punkt ist der Rekursentscheid unangefochten geblieben, weshalb auf die entsprechenden Ausführungen in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin nicht weiter einzugehen ist.
Fest steht weiter, dass die Schaffung von neuem Wohnraum im Dachgeschoss in Galeriegeschossen des Gebäudes Kirchstrasse .. nicht möglich ist, weshalb eine Erhöhung des Nicht-Wohnanteils aufgrund der Schaffung von Wohnraum in solchen Geschossen nicht zum Tragen kommt.
Materielle baupolizeiliche Vorschriften sind Eigentumsbeschränkungen (vgl. P. Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 4. Aufl., Bern 2002, S. 286). Dies bedeutet, dass sie einer gesetzlichen Grundlage bedürfen und durch ein öffentliches Interesse den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein müssen; daneben müssen Eigentumsbeschränkungen verhältnismässig sein und dürfen den Kerngehalt des Grundrechtes nicht antasten (Art. 36 der Bundesverfassung, SR 101, abgekürzt BV).
Das Kriterium der Verhältnismässigkeit misst sich am Verhältnis des Grundrechtseingriffs zum Zweck der Regelung, der dem öffentlichen Interesse bzw. dem Schutz der Grundrechte Dritter dienen muss. Dabei müssen drei Aspekte erfüllt sein: die Eignung, die Erforderlichkeit und die Verhältnismässigkeit von Eingriffszweck und Eingriffswirkung (Rainer J. Schweizer, St. Galler Kommentar zu Art. 36 BV, Rz. 21 mit Hinweisen). Das Erfordernis der Geeignetheit bedeutet, dass die fragliche
Massnahme das richtige Mittel zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels darstellen muss. Demnach wird verlangt, dass mit der Massnahme der gewünschte Erfolg überhaupt erzielt werden kann, dass sie also für den verfolgten Zweck geeignet ist. Zu prüfen ist somit die Zielkonformität und die Zwecktauglichkeit der Massnahme (Ulrich Zimmerli, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im öffentlichen Recht, in: ZSR 1978, II, S. 13; vgl. auch BGE 128 II 297 f. zur Eignung einer Massnahme zur Verminderung von Lärmimmissionen).
Die Vorinstanz erwog, aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 66ter Abs. 2 BO komme die ersatzlose Erweiterung der Nicht-Wohnnutzung erst dann zum Zug, wenn feststehe, dass die Möglichkeit einer Nutzungsverlagerung zwischen verschiedenen Gebäuden die Schaffung von Wohnraum im Dach- Galeriegeschoss desselben Hauses nicht möglich bzw. bereits ausgeschöpft worden sei. Es entspreche auch Sinn und Zweck des Nutzungsplans, wenn der Wohnanteil, namentlich in den Liegenschaften an der Kirchgasse, die in der Zone mit maximal einem Nicht- Wohngeschoss lägen, möglichst hoch gehalten werde. Die Auffassung der Bauherrschaft, dass ein langjährig ansässiger Betrieb ausserhalb seiner eigenen Liegenschaften keinen Ersatz schaffen müsse, finde weder im Wortlaut noch in den Materialien eine Stütze. Im Gegenteil, in der vorberatenden Kommission habe die Meinung geherrscht, dass ein Gewerbebetrieb zusätzlichen Nicht-Wohnraum nicht ohne Gegenleistung für Wohnraum beanspruchen dürfe. Einzig zur Vermeidung einer offensichtlichen Härte sollten bereits bestehende Betriebe im Bedarfsfall angemessen erweitern können, falls ihnen ein Flächenausgleich in derselben einer anderen Liegenschaft nicht möglich sein sollte.
In ihrer Vernehmlassung verweist die Vorinstanz auf die Bestimmungen von Art. 56 Abs. 2, Art. 63 und Art. 72ter des Baugesetzes (sGS 731.1, abgekürzt BauG). Das Baurecht kenne zahlreiche Beispiele, bei denen die Anwendung von Ausnahmebestimmungen von einem Rechtsgeschäft mit Dritten abhängig gemacht werde.
Die Einwendungen der Vorinstanz sind nicht stichhaltig. Die von ihr angeführten Sachverhalte sind im kantonalen Baugesetz explizit geregelt. Art. 56 Abs. 2 BauG sieht vor, dass der Grenzabstand ungleich auf benachbarte Parzellen verteilt werden kann,
wenn sich der Nachbar schriftlich zur Einhaltung eines entsprechend grösseren Grenzabstandes verpflichtet, wobei die zuständige Gemeindebehörde diese Verpflichtung als öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung verfügt und im Grundbuch anmerken lässt. Eine ähnliche Regelung findet sich in Art. 63 BauG für die Inanspruchnahme von Nachbargrundstücken zur Berechnung der Ausnützungsziffer.
Art. 56 und 63 BauG lassen indes keine Abweichung vom Grenzabstand der Ausnützungsziffer zu, wenn eine Einigung mit dem Eigentümer des Nachbargrundstücks nicht zustandekommt. Art. 72ter BauG sieht ausserdem vor, dass eine Ersatzabgabe geleistet werden kann, wenn gesetzlich vorgeschriebene Parkplätze nicht beschafft werden können. In diesem Bereich ist somit eine Ausnahmeregelung unabhängig vom Willen eines Dritten möglich. Entweder kann also beim Scheitern einer Vereinbarung mit einem Dritten der Ausnahmetatbestand nicht in Anspruch genommen werden, es ist die Leistung einer Ersatzabgabe möglich. Diese Rechtsfolgen sind im Gesetz ausdrücklich geregelt.
Die Vorinstanz anerkennt eine Unmöglichkeit der Nutzungsverlagerung nur, wenn der Gesuchsteller Anstrengungen zum Abschluss einer Vereinbarung nachweist. Sie hält fest, es sei der Gesuchstellerin zumutbar, sich in der Altstadt zumindest dort nach einer entsprechenden Möglichkeit zu bemühen, wo sich nach dem Nutzungsplan die höchsten Wohnanteile konzentrierten. Worin diese Bemühungen bestehen, legt die Vorinstanz nicht dar. Insbesondere umschreibt sie auch nicht näher, wann entsprechende Bemühungen eines Gesuchstellers ausreichend sind und unter welchen Voraussetzungen die Unmöglichkeit der entsprechenden Nutzungsverlagerung angenommen werden kann. Eine solche Verpflichtung eines Gesuchstellers, Anstrengungen zum Abschluss einer Vereinbarung für eine Nutzungsverlagerung nachzuweisen, hätte explizit im Baureglement verankert werden müssen. Bei einer Bestimmung mit derart weitreichenden Folgen für die Einschränkung des Grundeigentums müssten zumindest im Reglement die Voraussetzungen umschrieben sein, unter denen der Tatbestand der Unmöglichkeit eintritt.
Ausserdem enthält die Bauordnung keine Bestimmungen, in welchem Gebiet eine Nutzungsverlagerung zulässig ist. Das Erfordernis der städtebaulich und wohnhygienisch guten Lösung in Art. 66bis Abs. 4 BO ist nicht auf die Altstadt
beschränkt, und in der für diese massgebenden Bestimmung von Art. 66ter Abs. 2 BO ist nicht explizit vorgeschrieben, dass der Flächenausgleich in der Altstadt zu erfolgen hat. Bei der Beratung in der gemeinderätlichen Baukommission wurde von einzelnen Mitgliedern die Meinung vertreten, dass eine Verlagerung nur in benachbarten bzw. räumlich nahegelegenen Gebieten zulässig sein sollte, doch wurde auf den Erlass einer solchen Vorschrift verzichtet und das Erfordernis der städtebaulich guten Lösung als genügend erachtet (vgl. Protokolle vom 21. Juni 1984, S. 6, und vom 24. April 1985, S. 4). Die Baubewilligungsbehörde verlangte eine Nutzungsverlagerung in der Altstadt, während die Vorinstanz der Beschwerdeführerin die Suche nach einer Verlagerung in gewissen Quartieren und Gassen der Altstadt zumutete. Die Vorschrift ist daher auch in bezug auf die räumliche Festlegung einer Nutzungsverlagerung unbestimmt, was sie als Grundlage für Eigentumsbeschränkungen ungenügend erscheinen lässt.
Hinzu kommt, dass die Bestimmung von Art. 66ter Abs. 2 BO gar nicht ihrem Sinn und Zweck entsprechend angewendet werden kann. Objektiv unmöglich ist eine Nutzungsverlagerung nur, wenn im gesamten Stadtgebiet (oder in jenem Bereich des Stadtgebietes, in dem eine Nutzungsverlagerung als zulässig erachtet wird) keine Mehr-Wohnnutzung ausgeschieden werden kann. Solange dies theoretisch noch möglich ist, kann objektiv keine Unmöglichkeit angenommen werden. Die Vorinstanz geht davon aus, dass ein Gesuchsteller die Mehr-Wohnnutzung zu entschädigen hat, wobei sich die zumutbare Höhe der Entschädigung zwischen der höheren quartierüblichen Geschäftsmiete und der tieferen qartierüblichen Wohnungsmiete bewegen müsse. Sie lässt aber unberücksichtigt, dass sich eine solche Nutzungsbeschränkung nicht nur im Bereich des laufenden Ertrages, sondern in
erheblichem Mass auch im Bereich des Ertragswertes und damit des Marktwertes einer Liegenschaft niederschlägt. Dies führt dazu, dass eine Erhöhung der Nicht- Wohnnutzung mit überaus hohen Aufwendungen verbunden wäre, welche die Erweiterung eines Betriebs praktisch vereiteln könnten.
Im weiteren könnte ein Gesuchsteller für eine Nutzungsverlagerung derart niedrige Angebote machen, dass generell keine Vereinbarung zustandekommt. Es fragt sich also, wann sich ein Gesuchsteller auf die Unmöglichkeit einer Nutzungsverlagerung berufen kann.
Wie erwähnt, setzt das Erfordernis der Geeignet-heit voraus, dass mit der Massnahme der gewünschte Erfolg überhaupt erzielt werden kann, dass sie also für den verfolgten Zweck geeignet ist. Unbestritten ist, dass die Erhaltung von Wohnraum in der Altstadt im öffentlichen Interesse liegt. Dies würde aber bedeuten, dass beim Misslingen einer Vereinbarung über die Nutzungsverlagerung und ihrer grundbuchlichen Sicherstellung eine Erweiterung des Nicht-Wohnanteils untersagt wird. Wenn der Schutz des Wohnanteils ausschliesslich vom Erfolg der Bemühungen des Gesuchstellers abhängig gemacht wird, der die Wohnnutzung einzuschränken beabsichtigt, so fehlt es der Vorschrift an der Eignung, ihren Zweck zu erfüllen.
Hinzu kommt, dass Art. 66ter Abs. 2 BO gerade in jenen Fällen eine Ausdehnung der Nicht-Wohnnutzung erleichtert, in denen der Druck auf den Wohnraum besonders gross ist. Ist die Nachfrage nach Nicht-Wohnnutzungen in der Altstadt gross, so sinken die Chancen zur Vereinbarung einer Nutzungsverlagerung. Der Grund liegt darin, dass bei günstigen Aussichten für eine geschäftliche Nutzung höhere Entgelte für Nutzungsverlagerungen zu entrichten sind als bei geringer Nachfrage nach Nicht- Wohnnutzung. Je stärker die Nicht-Wohnnutzung nach der Absicht des Gesetzgebers eingeschränkt werden sollte, desto einfacher lässt somit das Reglement ihre Ausdehnung zu. Das Reglement führt dazu, dass bei einer maximalen Ausschöpfung der Nicht-Wohnnutzung eine nochmalige Ausdehnung zwingend bewilligt werden müsste, weil eine Verlagerung objektiv unmöglich ist, während bei einer theoretisch noch bestehenden Möglichkeit einer Nutzungsverlagerung verlangt werden könnte, zuerst sei diese auszunutzen. Dies widerspricht Sinn und Zweck des Gesetzes in diametraler Weise.
Damit fehlt es nicht nur an der hinreichend konkreten Regelung der Eigentumsbeschränkung, sondern auch an ihrer Eignung, den ihr zugedachten Zweck zu erfüllen. Die Verpflichtung eines Grundeigentümers, für die Erweiterung der betrieblichen Nutzung eine Nutzungsverlagerung auf dem Grundstück eines Dritten zu vereinbaren bzw. entsprechende Anstrengungen zu unternehmen, ist keine geeignete Massnahme, um die Wohnnutzung sicherzustellen. Fehlt es aber an der Eignung zur Erzielung des angestrebten Erfolgs, so widerspricht die Bestimmung dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, und es steht folglich mit dem übergeordneten Recht im Widerspruch, eine Nutzungsverlagerung zwischen Grundstücken verschiedener
Eigentümer zu verlangen. Geeignet ist die Massnahme nur, wenn die Nutzungsverlagerung zwischen Grundstücken ein und desselben Eigentümers verlangt wird. In diesen Fällen ist die Nutzungsverlagerung nicht von subjektiven Aspekten abhängig. Vielmehr sind objektive Umstände massgebend, ob die Möglichkeit einer Nutzungsverlagerung gegeben ist. Im Rahmen dieser Auslegung lässt sich die Geeignetheit der Eigentumsbeschränkung bejahen.
Zusammenfassend ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass die Beschwerde gutzuheissen ist. Der angefochtene Rekursentscheid vom 18. August 2004 sowie Ziff. II/1 und IV/3 des Beschlusses der Baupolizeikommission vom 15. August 2003 sind aufzuheben.
./ Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 3'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Auf ihre Erhebung ist zu verzichten (Art. 95 Abs. 3 VRP). Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- ist der Beschwerdeführerin zurückzuerstatten.
Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine aus-seramtliche Entschädigung (Art. 98bis VRP). Ihr Vertreter hat keine Kostennote eingereicht, weshalb die Entschädigung ermessensweise festzusetzen ist (Art. 6 der Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten, sGS 963.75, abgekürzt HonO). Für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren erscheint eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zuzügl. MWSt angemessen (Art. 22 Abs. 1 lit. a und c HonO).
Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt:
./ Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Rekursentscheid vom 18. August 2004 sowie Ziff. II/1 und IV/3 des Entscheids der Baupolizeikommission vom 15. August 2003 werden aufgehoben.
./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt; auf ihre Erhebung wird verzichtet. Der Beschwerdeführerin wird der geleistete Kostenvorschuss im Betrag von Fr. 3'000.-- zurückerstattet.
./ Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren mit Fr. 3'000.-- zuzügl. MWSt ausseramtlich zu entschädigen.
V. R. W.
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: Zustellung dieses Entscheides an:
die Beschwerdeführerin (durch Rechtsanwalt X.)
die Vorinstanz
die Beschwerdegegnerin
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